Bücher zur Corona-Krise
01/05/2020Über das Verhältnis zum Leben in einem sterblichen Leib
In diesem Beitrag möchte ich nicht auf die Fragen um die Gefährlichkeit der Erkrankung am neuen Corona-Virus und die politischen Maßnahmen im Umgang mit der Infektion eingehen. Lesenwerte Beiträge hierzu aus der Wochenzeitschrift „Das Goetheanum“ von Peter Selg und Matthias Gierke/Georg Soldner sowie von Dr. med. Christian Büttner aus den „Mitteilungen“ (Heft Ostern 2020) an die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft.
Es ist ja möglich, dass die aktuelle Infektionswelle sich als vergleichbar mit den jährlichen Influenzawellen herausstellt. Rudolf Steiner hat jedoch dargestellt, dass auf die Menschheit bei einer Fortsetzung des Lebens in der materialistischen Weltanschauung epidemische Erkrankungen zukommen. Diese Erkrankungen betreffen einerseits seelische Zustände (Nervosität, Depression), die ja heute schon ein epidemisches Ausmaß haben. Andererseits erwartete er die Ausbreitung von Infektionskrankheiten infolge der ungeheuren Misshandlung der Tier- und Pflanzenwelt durch die moderne Wirtschafts- und Lebensweise.
Unser Umgang mit Krankheit und Tod hängt davon ab, wie unser Bewusstsein von unserem Selbst mit dem Erlebnis des leiblichen Daseins verbunden ist. Wir bilden in der Kindheit ein Selbstbewusstsein durch das Erlebnis, dass der eigene Leib eine Grenze zur Außenwelt darstellt. Unsere Ich-Identifikation entsteht aus dem Erlebnis, einen Leib zu haben und mit diesem Leib eine fortlaufende Lebensgeschichte zu erleben. Bleibt es nur dabei, so muss in der Seele zumindest untergründig Angst vor dem Verlöschen des Ich beim Eintritt des leiblichen Todes entstehen.
Die nach Sinn suchende Seele kann aber bei der Betrachtung des Lebenslaufes bemerken, wie die Kette unserer Erlebnisse oder Schicksalsereignisse (z.B. Krankheiten) uns vor Aufgaben stellt. Und dass wir durch die Arbeit an diesen Aufgaben uns selbst als reifer, lebenskräftiger, gewachsener erleben. Wir können die Einsicht erringen, dass wir dieses ganze Leben bereits wie mit einem Aufgabenplan begonnen haben, zu dem wir eine möglichst passende Ausgangslage eingenommen haben: die ererbte leibliche Konstitution, den Geburtsort, die familiären und sozialen Umstände, historische Gegebenheiten etc. Eine solche Einsicht kann uns ahnen lassen, dass es ein Entwicklungsziel unserer Individualität gibt, das schon vor unserer Geburt bestanden hat, und das sich durch unsere Lebenserfahrungen verwandelt und auf neue Zielsetzungen hinweist. Wir können lernen, aus dieser Perspektive das Leben unserer Persönlichkeit ähnlich distanziert zu betrachten, wie das von anderen Menschen in unserer Umgebung. Um sich so ein Ich-Bewusstsein zu erringen, das die Kraft zu seinem Selbsterlebnis nicht aus dem Leibesdasein schöpft, muss eine andere Kraftquelle gefunden werden.
Hierzu ein Zitat von Rudolf Steiner: Diese vorbereitende Stimmung der Menschenseele zu der Christus-Wesenheit, sie besteht darinnen, daß die Seele – wenn sie das auch nicht mit klaren Worten aussprechen kann – fühlt durch das, was sie in sich erleben kann: Ich habe mich so entwickelt seit Erdenanbeginn, daß ich durch das, was ich in mir selbst habe, mein Entwickelungsziel nicht erreichen kann. Wo ist etwas, woran ich mich klammern kann, was ich in mich hereinnehmen kann, damit ich mein Entwickelungsziel erreiche? Sich so fühlen, als ob das menschliche Wesen weit über das hinausginge, was die Seele durch ihre Kraft zunächst wegen ihrer bisherigen Erdenentwickelung erreichen kann, das ist die vorbereitende christliche Stimmung. Und wenn dann die Seele das findet, was sie mit ihrer Wesenheit notwendig verbunden wissen muß, wozu sie aber die Kraft nicht in sich selbst findet, wenn dann die Seele das findet, was ihr diese Kräfte gibt, dann ist dieses Gefundene der Christus. (GA 155, Vortrag 12.07.1914, S. 146).
Wenn wir die vollbewusste Identifikation mit einem solchen Ich-Bewusstsein weit jenseits unseres Alltags-Ichs erreichen wollen, ist jedoch viel Mut, Kraft und Ausdauer erforderlich, sich von dieser Alltagspersönlichkeit unabhängig zu machen. Rudolf Steiner: Aber es ist eben etwas ganz anderes, mit vollem Bewußtsein sein Erinnerungs-Ich der Vernichtung, dem Vergessen, dem Abgrund anheimzugeben, wirklich eine Weile zu stehen in der geistigen Welt am Abgrund des Seins gegenüber dem Nichts als Nichts. Es ist das erschütterndste Erlebnis, das man haben kann, und man muß mit großem Vertrauen an dieses Erlebnis gehen. Um als Nichts an den Abgrund zu gehen, ist notwendig, daß man das Vertrauen hat, daß einem aus der Welt dann das wahre Ich entgegengebracht wird. Und das geschieht. Man weiß dann, wenn man am Abgrund des Seins dieses Vergessen zustande gebracht hat: Ausgelöscht ist alles, was du bisher erlebt hast, du hast es selbst ausgelöscht. Aber dir kommt aus einer Welt, die du selbst bis jetzt nicht erkannt hast, aus einer, ich möchte sagen, übergeistigen Welt dein wahres Ich entgegen, das in dem anderen Selbst nur noch eingehüllt war. - Jetzt erst begegnet man sich, nachdem man sich völlig ausgelöscht hat, mit seinem wahren Ich, von dem das Ich innerhalb der physischen Welt das Schattenbild, die Maja ist. (GA 147, Vortrag 30.08.1913)
Das in diesem Zitat geschilderte Erlebnis ist nur über einen langen Entwicklungsweg erreichbar, den ich hier nicht schildern wollte. Es ist aber offensichtlich, dass ein Mensch auf dieser Entwicklungsstufe für sein Dasein und den Sinn, den er selbst diesem Dasein durch seine Handlungen in der äußeren Welt gibt, nicht mehr vom Leib abhängig ist, sondern diesen souverän als Werkzeug dazu verwendet so lange, bis er durch Abnutzung seinen Dienst einstellt. Eine Ahnung davon, dass jeder Mensch sich zu so einer Individualität entwickeln kann, kann sich aber schon auf dem Weg dazu einstellen und immer mehr verstärkt werden.
Ein möglicher Weg besteht darin, sich in die Anthroposophie einzuleben: Allein und/oder im gemeinsam mit Anderen sich anthroposophische Inhalte erarbeiten, ein meditatives Leben einrichten, mitfühlend-mitmenschlich tätig sein.
Das aktuelle Zeitgeschehen um das neue Corona-Virus ist ein Weckruf,
sich bewusst zu werden über Leben und Tod, über den Umgang mit Krankheit,
die Wege zu einer Gesundung und über das menschlichen MIteinander.